Sozialdokumentarische Fotografie: Bildmand Brueche und Aufbrueche

Sozialdokumentarische Fotografie & biografische Texte: Ausstellung Brüche und Aufbrüche

Über Langzeitarbeitslose und das Dasein im Hartz-IV-Kosmos.
Über gesellschaftliche Ausgrenzung und Wertschätzung.
Über stoffliches Upcycling und persönliche Aufwertung.
Über Würde, Träume und die Kunst, unter Wasser zu atmen.

Krankheit. Schicksalsschläge. Psychosoziale Probleme. Rationalisierung. Fehlende Bildungschancen. Digitale Revolution. Berufe ohne Zukunft. Menschen rutschen aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Langzeitarbeitslosigkeit ab. In Deutschland in einer Leistungsgesellschaft nicht aus eigener Kraft für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können, geht im öffentlichen Diskurs zunehmend einher mit sozialer Ächtung.

“Bleib du mal lieber Hartz-IV-Empfänger, leb du mal schön von meinen Steuergeldern, fläz dich auf der Couch, sauf dich zu. Bei solchen Sprüchen lernt man, die Menschheit zu hassen.”

Die entsolidarisierte Gesellschaft

Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“ zeigt, dass etwa jeder zweite in Deutschland (52,3 Prozent) eine negative Sicht auf Langzeitarbeitslose hat.

Die sogenannte Mitte-Studie von 2019 basiert auf einer repräsentativen Umfrage von knapp 1.900 Menschen. Sie belegt zudem, dass abwertende Meinungen über Langzeitarbeitslose im Vergleich zu den Jahren 2014 und 2016 zugenommen haben und insbesondere in der Mittelschicht verbreitet sind. Nur Asylsuchende kommen derzeit in der öffentlichen Betrachtung in Deutschland noch schlechter weg. Dazu äußerten sich 52,9 Prozent der Befragten negativ.

Langzeitarbeitslosen wird unter anderem unterstellt, sie seien an Arbeitssuche nicht interessiert und würden sich „auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“. Als Folge erleben sie sich in hohem Maße stigmatisiert und ausgegrenzt.

“Ich habe dann Hartz IV beantragt. Das war für mich sehr unangenehm, ist es immer noch. Meine jüngere Tochter hat das in der Schule sehr lange verheimlicht. Selbst gegenüber ihrer besten Freundin hat sie sich geschämt.”

Zäsuren im Leben

Das Ausstellungsprojekt „Brüche und AufBrüche“ beschäftigt sich mit sozialdokumentarischer Fotografie und biografischen Texten mit Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr auf Vermittlung haben. Dass sie in eine solche Krise geraten sind, hat häufig mit einem persönlichen Bruch in ihrem Leben zu tun – oder mit mehreren Brüchen.

Es sind jedoch nicht nur Zäsuren im Leben, die sich in den Biografien von Langzeitarbeitslosen wiederfinden. Da ist auch der Wunsch nach Aufbruch. Da ist die Sehnsucht, wieder ein selbstbestimmtes Leben jenseits von Hartz IV und Jobcenter zu führen, Wertschätzung und Würdigung zu erfahren.

“Ich bin irgendwann falsch abgebogen. Wenn ich mir nochmal etwas wünschen dürfte, dann wäre das eine Reise ans Meer. An die Nordsee. Das Meer habe ich immer geliebt, genauso wie Delfine, die würde ich gerne mal sehen. Ich war ja schon 28 Jahre lang nicht mehr im Urlaub.”

Upcycling: Ausrangiertes aufwerten und damit sich selbst

Um Langzeitarbeitslose in ihrer Lebenssituation zu stabilisieren und wieder an einen Arbeitsalltag heranzuführen, kooperieren die Jobcenter mit zahlreichen sozialen Organisationen. Einen Rahmen dazu bietet beispielsweise das Projekt „Upcycling“ der gemeinnützigen Düsseldorfer renatec GmbH. Dort erschaffen Langzeitarbeitslose aus ausrangierten Gebrauchsgegenständen etwas Neues, geben so scheinbar Nutzlosem eine neue Funktionalität und gewinnen daraus wieder ein positiveres Selbstwertempfinden. In den Werkstätten wird geschreinert und gebaut, gesägt und gehämmert, geschmirgelt und poliert, gemalt und gezeichnet. Es wird auseinandergenommen und zusammengesetzt. Aus Altem entsteht Neues – eine vortreffliche Analogie zum Leben dieser Menschen in dieser Maßnahme. Die sehr nahen Texte von Frak Menke und die Fotografie-Arbeit vom Thomas Klingberg machen deutlich, wie engagiert und zuversichtlichtlich die Protagonisten von “Brüche und Aufbrüche” sind und wie sehr sie versuchen, das eigene Leben trotz vieler Schicksalschläge wieder selbst in die Hand zu nehmen.

“Als einer meiner Söhne starb, bin ich in ein ganz tiefes Loch gefallen. Jahrelang habe ich da drin gesteckt. Bis ich mir eines Tages gesagt habe: Jetzt ist Schluss! Ich war mir zu schade, so kaputt zu gehen.”

Thomas Klingberg – Sozialdokumentarische Fotografie

Der Düsseldorfer Vertreter der sozialdokumentarischen Fotografie,  Thomas Klingberg, gibt den im Upcycling-Projekt arbeitenden Menschen buchstäblich ein Gesicht. Seine Fotografien spiegeln ihre Ängste, ihre Traurigkeit, ihre Wut und Verzweiflung, aber auch ihre Hoffnungen und Sehnsüchte wider. Seine dokumentarischen Momentaufnahmen verweisen darüber hinaus auf den Arbeitsalltag und die Fähigkeiten dieser Menschen, denen das Wasser nicht bis zum Hals, sondern oft genug bis zum Scheitel steht – und die sich deshalb in der Kunst üben müssen, unter Wasser zu atmen. Die sozialdokumentarische Fotografie-Arbeit von Thomas Klingberg ist geprägt von Respekt, Sensibilität und Nähe zu den Protagonisten.


  • Sozialdokumentarische Fotografie - Brüche und Aufbrüche
    Von Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Menschen üben sich in der Kunst, unter Wasser zu atmen. Norbert kennt sich aus unter Wasser, er war in jungen Jahren Turmspringer und Leistungsschwimmer.

Frank Menke – Journalist

Der Düsseldorfer Journalist Frank Menke hat die im Upcycling-Projekt arbeitenden Menschen interviewt und ihre Lebensgeschichten aufgeschrieben. Die autobiografischen Texte dokumentieren die Vorstellungen dieser Menschen von Wertschätzung und Würde, ihre Brüche im Leben, wie sie ihr Dasein im Hartz-IV-Kosmos erleben, wie sie mit Diskriminierung umgehen, woraus sie Hoffnung schöpfen, was ihnen Mut macht, wovon sie träumen und was sie in ihrem Leben noch erreichen wollen. Diese Texte verstehen sich als Korrektiv zu den nachhaltig gepflegten gesellschaftlichen Vorurteilen zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit.

“Ich bin buchstäblich aus dem Berufsleben gestürzt. Drei Stockwerke tief. Es grenzt an ein Wunder, dass es mich noch gibt. Warum also sollte ich Angst vor der Zukunft haben?”

Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke eröffnet die Kunstausstellung Brüche und Aufbrüche in Düsseldorf

Wir freuen uns sehr, dass Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke die Ausstellung mit einem Grußwort am 14. September 2019  um 14:30 Uhr eröffnen wird. Die interdisziplinäre Kunstausstellung aus Fotografie und Text ist Teil der Düsseldorfer → Kunstpunkte 2019.

Ein gemeinsames Fotografie- und Biografie-Projekt von Thomas Klingberg, Frank Menke und dem Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen renatec aus Düsseldorf sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Projektes “Upcycling”. Kuratiert wird die Ausstellung von Künstlerin Jaqueline Lobodda. Rahmenbau und Gewerk: Sascha Ulbricht.

Die Protagonisten werden anwesend sein und präsentieren Teile ihrer Arbeiten aus der Upcyclingwerkstatt.

Öffnungszeiten zu den Kunstpunkten 2019:
14. September 2019, 14:00 – 20:00  Uhr
15. September 2019, 12:00 – 18:00 Uhr

Die Kunstausstellung mit biografischen Texten ist noch bis Ende September 2019 Montags bis Freitags von 10;00 16:00 Uhr geöffnet.

Barrierefrei
Parkplätze vorhanden

Text: Frank Menke
Fotos: Thomas Klingberg



Beitrag veröffentlicht am 12.08.2019




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