MEIN DACH IST AUS HIMMEL GEBAUT
MEIN DACH IST AUS HIMMEL GEBAUT

Diese fotografische Arbeit ist ein Innehalten – ein Moment gegen das automatische Wegsehen.
Sie soll nach dem dritten Blick-vorbei einen zweiten Blick ermöglichen. Nicht auf ein „Problem“, sondern auf Menschen. Nicht auf das Defizit, sondern auf das Dasein – mit all seiner Würde, Verletzlichkeit, Hoffnung.
Wer mit offenem Blick hinsieht, sieht nicht nur Armut. Er sieht Spuren von Leben, Geschichten, die keinen Schutzraum haben. Er sieht vielleicht uns selbst – in einer anderen Lage.
Diese Arbeit stellt Fragen an eine Gesellschaft, die gelernt hat, wegzusehen. Fragen an Städte, in denen das Sichtbare unsichtbar wird, während das scheinbar Unsichtbare immer mehr sichtbaren Raum einnimmt. Fragen an uns – die täglich an Menschen vorbeigehen, deren Leben sich unter freiem Himmel abspielt: mit dem Asphalt als Bett, dem Himmel als Dach.
Wann eigentlich haben wir angefangen, uns daran zu gewöhnen – an Menschen, die auf Asphalt schlafen? An frierende Körper in Hauseingängen, an zerfledderte Kartons vor Schaufenstern, an muffige Decken in Parkbuchten, an Schlafsäcke unter Brücken. An all die Blicke, die wir nicht erwidern?

Träumen von einem echten Himmelbett und vollen Brotkörben
Aufgenommen im Hamburger Schanzenviertel, Rote Flora – zwischen Szene, Sehnsucht und sozialer Realität.
Ein Mensch schläft auf einer Treppe, gebettet auf Kisten – einst gefüllt mit Broten, die jemanden satt gemacht haben. Heute tragen sie den unruhigen Schlaf eines verzweifelten Menschen. Der städtische Raum wird zum Schlafzimmer, zur Grenze zwischen Sichtbarkeit und Verdrängung. Wie viel Fantasie braucht es, um sich inmitten von Kälte und Lärm ein Zuhause vorzustellen? Zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und der Realität des Mangels bleibt ein stiller Traum vom Ankommen.

Zwischen Zuckerwasser und Zwangslage
Leben, wo der Raum keine Türen hat. Kitschige Konsumästhetik und existenzielle Not nebeneinander. Bei Ausstellungen werde ich oft gefragt: Darf man so etwas zeigen? Ist das nicht voyeuristisch? Das Leben, das in diesen Fotografien sichtbar wird, existiert – es verschwindet nicht, nur weil wir wegsehen. Die Frage nach Voyeurismus offenbart oft unsere Scheu, uns mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Gerade weil sie unbequem ist, müssen diese Bilder gezeigt werden. Kunst darf Raum schaffen für das, was wir lieber ignorieren – und uns so dazu bringen, wirklich hinzusehen.
Sich verstecken und doch gesehen werden wollen
mit dem rücken zur wand / und die unsichtbare / vor einem / es schnmeichelt der stein / so warm / wie die kälte / dem sein müssen / wir pfeifen ihr / die flöte im abgeholzten / lungenflügelwald / ein herzlied / aus mächtigen / träumen / ein ton fällt / am boden / ein baum wächst / darunter liegen wir bald / liebend / im wärmsten menschenschatten
—
Text: Petrus Akkordeon, Künstler in Berlin

Das Leid.
Die Treue.
Das Leid,
der Treue.
Das Leid
der Treue.

KEINE
APP
BAUT
WÄNDE

SPUREN OFFENSICHTLICHEN SCHEITERNS
Was bleibt, wenn niemand mehr hinsieht. Kein Gesicht, kein Körper – nur Reste: eine Decke, ein leerer Becher, ein Abdruck im Staub, etwas Müll. Abwesenheit, die laut ist. Und ich stelle mir die Frage: Wer ist hier gescheitert? Der Mensch, der diesen Ort verlassen musste? Oder wir – die, die vorbeigehen und hätten helfen können?
Diese Spuren erzählen von Leben, das an diesen Orten stattgefunden hat – draußen, im Durchzug unserer Gleichgültigkeit. Sie sind leiser als ein Blick, aber deutlicher als jede Schlagzeile.
Wir sehen sie – und sehen darüber hinweg. Weil wir gelernt haben, dass das möglich ist.
Mit meiner Fotografie möchte ich das Wegsehen unterbrechen.





ZWISCHENRÄUME
Urbane Szenen, in denen Kontraste sichtbar werden: Nähe und Distanz, Wohlstand und Mangel, Leichtigkeit und Überleben – nebeneinander, im selben Bildraum. Es sind Momente, in denen unterschiedliche Lebenswelten aufeinandertreffen, ohne sich zu berühren.


Nichts, was stört
Hier liegt niemand im Schatten –
nur außerhalb des Blickfelds.
Die Ordnung bleibt aufrecht,
die Schaufenster glänzen,
die Versprechen stehen still.
Dazwischen: ein Körper,
der nicht mehr fragt,
ob es Platz gibt.
Da liegt ein Leben.
Und keiner stolpert.


MIT EIGENEN IDEEN ECHT WAS ERREICHEN
Die Reklame spricht vom Erfolg. Der Boden spricht von der Gegenwart. Zwei Lebenswelten – nur durch wenige Zentimeter Wand voneinander getrennt – prallen aufeinander, ohne einander zu berühren. Dieses Bild erzählt von der sozialen Spannung, die unsere Städte durchzieht: zwischen Werbung und Wirklichkeit, zwischen Aufstiegserzählung und Abstiegsrealität. Es stellt keine Schuldfrage – aber es stellt Fragen: Was sagt mehr über unsere Gesellschaft: das Plakat oder der Boden davor? Wer von den Personen hat wirklich einen Traum? Wie viel Gegenwart passt neben eine Werbefläche? Wie nah darf etwas sein, das wir nicht sehen wollen? Was davon kann weg?
EINE KLEINE GESCHICHTE ÜBER JENE,
DIE GERNE VERREISEN UND ÜBER SOLCHE,
DIE NICHT EINMAL NACH HAUSE KOMMEN KÖNNEN.

Fragmentierte Wirklichkeit
Unter dem strahlenden Mosaik „Die Nacht“ von Jan Thorn Prikker am Ehrenhof in Düsseldorf schläft eine vergessene Existenz. Zwischen der Erhabenheit der Kunst und der Härte des Lebens prallen Welten aufeinander, die selten zusammen gedacht werden. Wie das Mosaik aus vielen kleinen, zerbrochenen Steinen zusammengesetzt ist, so ist auch das Leben dieses Menschen ein Bild aus zerbrochenen Momenten. Diese stillen Brüche spiegeln die zerklüftete Gesellschaft wider, in der Schönheit und Not dicht beieinanderliegen, ohne wirklich zusammenzufinden.

DURCHSCHNITTLICHER INHALT EINES MÜLLEIMERS IN BERLIN
Ein paar verlorene Hoffnungen / 2 angebissene Döner / nicht gelesene Zeitungen / 7 Absagen / viele Ja aber / zerknickte Pappkaffeebecher / 3 Vielleicht / 4 Liebst du mich noch? / eine leere Brieftasche / Pfandflaschen / ein abfälliger Blick / drei vergessene Abenteuer / eineinhalb schöne Versprechen.
Durchschnittliches Interesse der Leichten und Schönen daran:
—
Text: Susanne Schmidt, Autorin in Berlin


Suchen, was andere nicht vermissen.
Dem Virus ist es egal, ob du ein Zuhause hast. Es fragt nicht nach deinem Namen, deiner Herkunft oder ob jemand auf dich wartet. Es kennt keine Adresse, keine Fürsorge, keine Ausnahmen – und auch kein Mitleid.
Es sucht sich auch jene, die andere längst übersehen haben, die von niemandem vermisst werden.
TRÄUMEN VON EINEM EIGENEN HERD
“Mein Dach ist aus Himmel gebaut, da hab ich kein Strom, da kann ich schlecht kochen. Ich koch gerne, hab aber lange nich mehr gekocht. Früher, für die Frau und Freunde. Manchmal. Ich hätt gerne wieder einen Herd. Ist ja bald Weihnachten. In der Unterkunft darf ich nicht kochen, da kochen dann richtige Köche – ich hab die mal gefragt. Geh ich sowieso nicht mehr hin. Bier sauf ich nicht, ist nur für Pfand, hat mir einer da reingelegt. Den Engel auch. Ich leg mich jetzt hin, is kalt heute…”


Wer erträgt mehr Kälte:
Der, der friert – oder der, der wegsieht?
HOMEMADE BUNS
Hausgemacht heißt:
Nähe. Wärme. Fürsorge.
Und ein Platz am gedeckten Tisch.
Doch draußen schläft taghell die Müdigkeit
einer weiteren verlorenen Nacht
– auf kalten Treppen.
Dort schweigt der Hunger laut,
die Stille macht nicht satt.


Zwischen Schwelle und Schweigen
Ein Ort, der nicht drinnen ist,
aber auch kein Draußen mehr.
Der Wind kennt seinen Namen,
die Klingel nicht.
Ein Moment der Ruhe an der Tür,
die nie für ihn aufgeht.